Hans Friedrich Ludwig Kuppenheim wird am 3. Dezember 1892 als ältester Sohn des Frauenarztes Medizinalrat Dr. Rudolf Kuppenheim und Lilly (geb. Ehrmann) in Pforzheim geboren. Sein Großvater, Louis Kuppenheim, ist Gründer der Firma „Louis Kuppenheim AG, Gold- und Silberwarenfabrik“, seine Onkel führen die Firma weiter und zu Weltruhm.
Die Familie Kuppenheim hat jüdische Wurzeln. Hans‘ Eltern konvertieren um die Jahrhundertwende; das gleiche gilt für sämtliche Geschwister des Vaters. Die Söhne Hans und Felix werden evangelisch getauft.
Hans Kuppenheim wächst, gemeinsam mit seinem vier Jahre später geborenen Bruder Felix, behütet in Pforzheim auf. Beide Eltern sind aktive Mitglieder der Stadtgesellschaft und überaus beliebt. Er besucht das Pforzheimer Reuchlin-Gymnasium und macht dort 1911 das Abitur.
Im Anschluss daran, 1911/12, leistet Hans Kuppenheim seinen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger beim Telegraphen-Bataillon IV in Karlsruhe ab. Wie auch sein Vater ist Hans naturwissenschaftlich begabt; er schreibt sich an der Universität Heidelberg für die Fächer Physik, Mathematik und Astronomie ein. Außerdem ist er ein talentierter Musiker – sein ganzes Leben spielt er Geige in einem Streichquartett.
Mit Kriegsausbruch 1914 unterbricht Hans Kuppenheim sein Studium. Im Juni 1915 wird er verletzt. Im Lazarett in Nürnberg lernt er seine spätere Frau, die Krankenschwester Ilse Hoepfel, kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick.
Hoch dekoriert – neben dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse wird ihm 1917 auch eine hohe badische Auszeichnung, das Ritterkreuz vom Orden des Zähringer Löwen, verliehen – kehrt Hans Kuppenheim im Dezember 1918 aus dem Krieg zurück und setzt sein Studium fort. (Auch Vater und Bruder, ein Cousin sowie zwei Onkel erhalten gleichermaßen hohe Auszeichnungen.)
Am 23. August 1919 heiratet er Ilse Hoepfel in Bad Wörishofen.
1921 promoviert er in Physik. Ein Jahr arbeitet er an der Universität Heidelberg, danach bei verschiedenen Firmen in Erlangen, Rudolstadt und Frankfurt (Main). Im Jahr 1932 zieht er nach Berlin, um eine Stelle bei Siemens anzutreten. Sein Spezialgebiet ist Röntgenphysik; er erforscht die Schnittstellen zwischen medizinischer Forschung und deren technischer Umsetzung in Geräte. Mit seiner Frau wohnt er am Barbarossakorso 35 (heutige Welfenallee 45), anschließend in der Tannenstraße 7. Zwei seiner Cousinen – Hilde Widmann geb. Kuppenheim sowie Lotte Brückner geb. Kuppenheim – leben übrigens auch in Berlin.
Seine erste Erfahrung mit dem Antisemitismus der NSDAP macht Hans Kuppenheim bereits im April 1933, im Rahmen der Betriebsratswahlen bei den Siemens Reinigerwerken in der Mohrenstraße, die auf den 6. April 1933 angesetzt sind. Neben der Liste der NSDAP gibt es noch eine unabhängige Liste, auf der auch Hans Kuppenheim kandidiert. Beide Listen werden am Schwarzen Brett angeschlagen. Die NSDAP-Betriebsgruppe entfernt die zweite Liste und erklärt, dass sie die Geschäfte des Betriebsrats übernommen habe. Anschließend wird die Direktion aufgefordert, drei Arbeitnehmer zu entlassen, da diese Juden seien, darunter namentlich auch Dr. Hans Kuppenheim. Sprachrohr der NSDAP ist ihr Obmann für dies Werk, „ein Mann namens Bock, welcher im Haus Boten- und Pförtnerdienste verrichtet“. Hans Kuppenheim hat Glück – „Inzwischen wurde festgestellt, dass Dr. Kuppenheim katholisch [sic !!!] ist, im Kriege an der Front gekämpft hat und Inhaber des EK II. und I. Klasse ist.“
1934 nimmt Dr. Hans Kuppenheim am IV. Internationalen Radiologenkongress in Zürich teil. 1935 wird er durch die Nürnberger Gesetze, die aus der jüdischen Religion das Konstrukt einer jüdischen Rasse machen, über Nacht zum „Volljuden“ – alle vier Großeltern waren Juden. Die Nürnberger Gesetze erklären jüdische Deutsche zu Bürgern zweiter Klasse, zu „Staatsangehörigen“ im Gegensatz zu den „arischen“ Reichsbürgern. Seine Frau Ilse ist laut NS-Rassenlehre „arischer“ Abstammung. Da es der Ehemann, also Hans, ist, der als Jude eingestuft ist, und die Ehe kinderlos ist, wird sie als „nicht-privilegierte Mischehe“ eingestuft.
Im August 1938 erlebt Hans Kuppenheim, wie sein Onkel Hugo Kuppenheim, der den großväterlichen Betrieb weiterführt, sich während der sog. „Arisierung“ verzweifelt das Leben nimmt. Im selben Monat beschließt die Reichsregierung die Einführung von „typisch jüdischen“ Zwangsnamen, um jüdische Menschen erkennbar zu machen; Hans Friedrich Ludwig Kuppenheim muss zusätzlich den Namen „Israel“ führen.
Mit Datum 9. Dezember 1938 – einen Monat nach der Pogromnacht – erhält Hans Kuppenheim einen Brief der Deutschen Physikalischen Gesellschaft: „Unter den zwingend obwaltenden Umständen kann die Mitgliedschaft von reichsdeutschen Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze nicht mehr aufrecht erhalten werden. […] Im Einverständnis mit dem Vorstand fordere ich daher alle Mitglieder, die unter diese Bestimmung fallen, mir ihren Austritt aus der Gesellschaft mitzuteilen. Heil Hitler! P[eter]. Debuye. Vorsitzender“. Diese Entscheidung wird die Deutsche Physikalische Gesellschaft Hans Kuppenheim gegenüber übrigens nie zurücknehmen.
Sein Cousine Hilde Widmann (geb. Kuppenheim) flieht in diesem Jahr zu ihrem Bruder nach Paris; Cousine Lotte Brückner (geb. Kuppenheim) schafft es, ein Visum für die USA zu erhalten und verlässt Europa in Cherbourg.
Ende 1938 beschließt die Firma Siemens, ihrem Angestellten zu helfen. Aus einem Brief seiner Frau wissen wir, dass Hans Kuppenheim zu diesem Zeitpunkt „nach all den Jahren, die für ihn als Nichtarier so unendlich schwer waren […] kurz vor dem seelischen Zusammenbruch“ stand. Ihm wird ein Posten in der Niederlassung der Firma in Vancouver versprochen; die Einarbeitungsphase von drei Monaten soll in New York bei der Firma Adlanco X-Ray Corporation stattfinden, der Vertretung von Siemens in den USA. Siemens unterstützt ihn auch beim Beschaffen der Ausreisepapiere – am 1.Februar 1939 erhält er einen auf ein Jahr befristeten, mit einem „J“ gekennzeichneten Pass. Am 24. Mai 1939 kommt Hans Kuppenheim auf der „SS Manhattan“ in New York an. Er hat jedoch kein Einwanderungsvisum, lediglich eine beschränkte Aufenthaltsgenehmigung, gekoppelt an seine Stelle sowie an Abkommen mit dem Deutschen Reich. Er muss sie regelmäßig verlängern lassen. Seine Frau Ilse muss er in Berlin zurücklassen.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen erklärt Großbritannien Deutschland am 3. September 1939 den Krieg und Kanada, als Teil des „British Commonwealth of Nations“, ist nunmehr Kriegsteilnehmer. Die Weiterreise nach Vancouver wird dadurch unmöglich, und so arbeitet er weiter in der Filiale der Firma Siemens in New York, bis ihm noch im September 1939 gekündigt wird – offenbar nach Aufforderung durch die NS-Regierung. Daraufhin arbeitet Hans Kuppenheim in verschiedenen Firmen als Physiker.
Wann genau und auf welchem Wege Hans Kuppenheim erfährt, dass seine Eltern, Dr. Rudolf und Lilly Kuppenheim, Selbstmord begangen haben, um der Deportation nach Gurs am 22./23.Oktober 1940 zu entgehen, wissen wir nicht.
Am 26. November 1941 verliert er die deutsche Staatsangehörigkeit, ist also staatenlos. Im Dezember 1941 treten die USA in den Krieg ein. Sein Aufenthaltsstatus wird verbessert, aber seine Bemühungen, US-Bürger zu werden, werden bis 1945 andauern. Hans Kuppenheim bietet US-Regierungsstellen seine Unterstützung im Kampf „gegen den gemeinsamen Feind“ an. Bis 1944 wird er mehrfach vom Justizministerium zu Fragen die deutsche Industrie betreffend („German industrial matters“) angehört. Aufgrund seiner überragenden wissenschaftlichen Leistungen wird er 1943 vom „War Department“ der USA (dem Verteidigungsministerium unterstellte Behörde) als „expert on radio tubes and plants“ berufen und vereidigt und gehört diesem Gremium bis zu dessen Auflösung im Jahre 1944 an.
Im Sommer 1945 kontaktiert er General Lucius D. Clay, stellvertretender Militärgouverneur und stellvertretender Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Besatzungszone und des amerikanischen Sektors von Berlin. Er bittet ihn zu veranlassen, dass ein Brief an seine Frau Ilse weitergeschickt wird. Clay hilft; Ilse hört zum ersten Mal seit Jahren von ihrem Mann.
Hans Kuppenheim, der nach 1945 amerikanischer Staatsbürger wird, arbeitet seit 1947 im „Army Medical Research Lab“ in Fort Knox (Kentucky) als Leiter der Abteilung Biophysik. Im selben Jahr kann seine Frau Ilse endlich nachkommen – über Bremerhaven in der US-amerikanischen Zone.
Am 4. September 1966 stirbt Hans Kuppenheim, der seit 1960 verwitwet ist, in Folge eines Verkehrsunfalls. Seine Urne ist im Familiengrab in Pforzheim beerdigt, genauso wie die seiner Frau Ilse, die bereits 1960 gestorben ist.
Autorin: Sabine Herrle (Freiburg)
Lina Hagenlocher (geb. Weil) wird am 5. Juni 1882 in Pforzheim geboren. Sie ist die Tochter von Emilie (geb. Laupheimer) und Robert Weil.
Lina heiratet Gustav Hagenlocher, der einen Uhrengroßhandel betrieb, in dem sie mitarbeitet. Sie ist Mutter dreier Kinder – Lore, Theo und Ellen. Die Familie wohnt und arbeitet in einer Mietwohnung in der Zerrennerstraße 51.
Nach den „Nürnberger Gesetzen“ gilt Lina Hagenlocher als „Volljüdin“, die Kinder als „Mischlinge ersten Grades“. 1942 stirbt ihr Ehemann; die „Mischehe“ kann Lina nicht mehr schützen. Als „Nichtarierin“ darf sie die Firma nicht weiterführen; letztere wird aus dem Handelsregister gelöscht.
Am 10. Januar 1944 wird sie in Pforzheim verhaftet. Im Bahnhofsbunker in Karlsruhe muss sie eine Erklärung unterschreiben, dass ihr gesamtes Vermögen zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen wird, bevor sie am 11. Januar 1944 mit dem Transport XIII/4 nach Theresienstadt deportiert wird.
Völlige Entrechtung und Demütigungen, Schmutz und Ungeziefer sowie eine gänzlich unzureichende Ernährung prägen den Alltag im Lager; die Todesrate ist sehr hoch. Schwer krank erlebt sie die Befreiung des Lagers am 8. Mai 1945; aufgrund der Seuchengefahr wird sie jedoch erst am 30. Mai 1945 entlassen. Schwiegersohn Walter Jaeger holt sie mit dem PKW aus Theresienstadt nach Pforzheim. Ab September 1945 lebt sie mit ihm und Tochter Lore in Calw.
Lina Hagenlocher verstirbt am 7. April 1949 an einer Herzschwäche als Folge der Haft.
Autorin: Sabine Herrle (Freiburg)
Greta Stengel (geb. Kuppenheim) wird am 18. November 1872 in Pforzheim als jüngstes Kind der Unternehmerfamilie Louis Kuppenheim geboren. Deren “Gold- und Silberwarenfabrik“ genießt international einen ausgezeichneten Ruf.
1903 heiratet die zum evangelischen Glauben konvertierte Greta den nichtjüdischen Arzt Hermann Stengel. Sie bekommt zwei Kinder. Bereits 1933 wird sie Witwe.
Im gleichen Jahr wird Hitler Reichskanzler und die Entrechtung Deutscher mit jüdischen Wurzeln beginnt. Mit den “Nürnberger Gesetzen“ im Herbst 1935 werden Greta Stengel und ihre Kinder quasi über Nacht zu “Nichtariern“ degradiert; ihre Ehe wird zur “Mischehe“.
Ausgrenzung und Verfolgung nehmen stetig zu – sie muss Wertgegenstände abgeben, und wie alle jüdischen Deutschen die “Judenvermögensabgabe“ zur Behebung der Schäden der Pogromnacht zahlen. Ihre Witwenrente wird gekürzt und zeitweise gar nicht bezahlt. Die Lebensmittelrationen sind geringer, es gilt eine Ausgangssperre. Ab 1939 muss sie den Zwangsnamen “Sara“ führen – aber ihre “Mischehe“ bewahrt sie vorerst vor Deportationen, ihr Alter vor Zwangsarbeit.
1938 wird Bruder Hugo in den Selbstmord getrieben, 1940 bringen ihr Bruder Rudolf und ihre Schwägerin Lilly sich um, um der Deportation nach Gurs zu entgehen. Ihr Bruder Ernst stirbt 1943 an den Quälereien im „Arbeitserziehungslager“ Heddernheim. Sie ist nun die einzige Überlebende der Kuppenheim-Geschwister.
Am 10. Januar 1944 wird die 67jährige von der Gestapo in ihrem Haus verhaftet.
Am Bahnhof in Karlsruhe muss sie unterschreiben, dass ihr gesamtes Vermögen an das Deutsche Reich fällt, bevor Transport Nummer 27 ‒ XIII/4 sie ins KZ Theresienstadt verschleppt.
Völlige Entrechtung und Demütigungen, Schmutz und Ungeziefer sowie eine völlig unzureichende Ernährung prägen den Alltag in Theresienstadt; die Todesrate ist hoch. Ihre “Mischehe“ und Glück bewahren Greta vor der Deportation in ein Vernichtungslager.
Am 8. Mai 1945 wird das KZ befreit, Greta kehrt, schwer an Knochentuberkulose erkrankt, zurück. Das Haus der Familie ist ausgebombt.
Am 5. November 1965 stirbt Greta Stengel in Heidelberg, wo ihre Kinder Annemarie und Hanfried leben.
Autorin: Sabine Herrle (Freiburg)
Hilde Julia Widmann (geb. Kuppenheim) wird am 21. Januar 1900 als jüngstes Kind des Unternehmers Albert Kuppenheim und Emilie (geb. Groß) in Pforzheim geboren. Sie hat zwei Geschwister – den 1890 geborenen Bruder Ludwig sowie die 1897 geborene Schwester Anneliese, die bereits 1922 stirbt.
Hildes Großvater väterlicherseits, Louis Kuppenheim, ist Gründer der Firma „Louis Kuppenheim Gold- und Silberwaren“, die innerhalb kurzer Zeit Weltruf erreicht. Nach Louis Kuppenheims Tod führt Albert Kuppenheim die Firma mit zwei seiner Brüder weiter. Ein weiterer leitet die Filiale in Paris.
Die Familie Kuppenheim hat jüdische Wurzeln; alle Kinder des Firmengründers konvertieren um 1900 zum evangelischen Glauben. Hilde wird getauft und in der Schlosskirche in Pforzheim konfirmiert. Sie wächst behütet in der Villa, die ihre Eltern haben bauen lassen, auf, und besucht die Höhere Mädchenschule Pforzheim, die Hildaschule. Wie damals für „höhere Töchter“ verbreitet, macht sie – im Unterschied zu ihrem Bruder Ludwig – keine Berufsausbildung.
Die Familie Kuppenheim ist konservativ und patriotisch – Hildes Vater Albert meldet sich – wie seine Brüder – 1914 (mit 51 Jahren) freiwillig zum Krieg und kommt hoch dekoriert zurück, ihre Mutter Emilie wird mit dem Badischen Kriegshilfekreuz ausgezeichnet. Mitglieder der Familie Kuppenheim sind in vielerlei Hinsicht aktiv in der Pforzheimer Stadtgesellschaft.
1920 heiratet Hilde den Ingenieur Bruno Widmann, der in der Firma seiner Familie, dem Karlsruher Baukonzern Dyckerhoff und Widmann, arbeitet.
1925 scheidet ihr Vater Albert aus dem Leben. 1929 zieht ihr Bruder Ludwig nach Paris; er wird sich fortan Louis nennen. 1930 folgt ihm ihre Mutter Emilie dorthin.
1933 wird die NS-Diktatur errichtet; schon bald beginnt die Entrechtung und Verfolgung Deutscher mit jüdischen Wurzeln. Hilde Widmann selber trifft es in den ersten Jahren nicht, wohl aber ihre Familie – ihr Onkel Rudolf und zwei Cousinen werden aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen, derselbe Onkel darf nicht mehr praktizieren, ihr Onkel Hugo, der die großväterliche Firma weiterführt, wird systematisch bei der Zuteilung von Rohstoffen benachteiligt, ihr – wie sie getaufter – Cousin Hans bei seinem Arbeitgeber als Jude denunziert. Als ihr Bruder 1934 in Begleitung der Mutter geschäftlich nach Pforzheim reist, werden beide von der Gestapo aufgesucht und gezwungen, das Land innerhalb einer Stunde zu verlassen.
Als die Zentrale der Firma Dyckerhoff und Widmann 1935 nach Berlin verlegt wird, ziehen die Eheleute Widmann dorthin. Zu diesem Zeitpunkt leben Hildes Cousin Hans Kuppenheim mit seiner Frau Ilse sowie ihre Cousine Lotte Brückner (geb. Kuppenheim) bereits in der Stadt. Am 15. September 1935 werden die Nürnberger Gesetze verkündet – über Nacht mutiert Hilde Widmann zu einer „Volljüdin“ (alle vier Großeltern sind jüdischen Glaubens). Da ihr Gatte „Arier“ ist, die Ehe aber kinderlos ist, wird sie als „nicht-privilegierte Mischehe“ eingestuft. Im Jahr 1938 – dem Jahr, indem ihr Onkel Hugo sich während der „Arisierung“ aus Verzweiflung umbringt und in dem im November die Synagogen brennen werden, verlässt Hilde Deutschland; sie zieht zu ihrem Bruder nach Paris, ins vermeintlich sichere Frankreich. Die drei – Mutter Emilie, Ludwig/Louis und Hilde – wohnen in einer kleinen Wohnung in der Rue de Vaugirard 288. Zu dem Trio stößt 1938 kurz noch – auf ihrem Weg in die USA – Cousine Lotte Brückner (geb. Kuppenheim), vorher Berlin und Hamburg. Ludwig/Louis, mittlerweile staatenlos, hatte schriftlich seine Bereitschaft erklärt, in die französische Armee einzutreten, sollte es zum Krieg gegen Deutschland kommen. Daher hat er „einen entsprechenden Paß.“ Seine Mutter Emilie gilt als „Refugiée apatride“ (staatenloser Flüchtling) und verfügt über eine Carte d’identité, Hilde jedoch hat lediglich den überaus prekären Status einer „Refugiée d’origine allemande“: sie ist also als geflüchtete Deutsche, als Ausländerin, registriert.
Bei Kriegsausbruch im September 1939 tritt Ludwig/Louis in die Fremdenlegion ein (eine andere Option gibt es für Ausländer nicht). Er bekommt eine neue Identität und wird in Nordafrika eingesetzt. Die Wohnung in Paris wird aufgegeben; seine Mutter und Hilde bringt er kurz vorher in einem gemieteten Häuschen in Antibes an der Côte d’Azur unter.
1940 kapituliert Frankreich. Ein Teil des Landes wird von deutschen Truppen besetzt; in der sog. „freien Zone“ wird der État français mit der Hauptstadt Vichy gegründet, der von einer rechtsgerichteten, antisemitischen Regierung unter Marschall Philippe Pétain diktatorisch regiert wird. Im Oktober 1940 wird das erste „Statut des juifs“ erlassen, welches jüdisch als Rasse definiert, nicht als Religion. Ab dem 10. Oktober 1940 müssen ausländische Jüdinnen und Juden in Lagern interniert werden; Hilde Widmann befindet sich also spätestens ab dann in unmittelbarer Gefahr.
So wird sie 1940 denn auch als „ausländische Staatsangehörige einer feindlichen Nation“ verhaftet und in das berüchtigte Lager in Gurs (Pyrenäenvorland) verschleppt. Ihrer Mutter gelingt es jedoch, sie mit den Militärpapieren von Ludwig/Louis herauszuholen.
Im Sommer 1942 verpflichtet sich die Vichy-Regierung, 10.000 “ausländische Juden“ an das Deutsche Reich auszuliefern. (Dies geschieht VOR der Besetzung fast ganz Frankreichs im November 1942.) Es gibt großangelegte Razzien, organisiert von der französischen Polizei; letztere übernimmt die Verhaftung und Bewachung dieser Menschen und zwingt sie in Züge, welche sie in die besetzte Zone Frankreichs, in das Lager Drancy bei Paris, bringen werden. Die günstig in der Nähe des Bahnhofs Nice-St. Roch gelegene Polizeikaserne Auvare wird zum Sammellager.
Beide Frauen werden gewarnt. Emilie Kuppenheim gelingt es, sich bei Schafzüchtern in einer Hütte bei Plascassier (heute Ortsteil von Grasse) zu verstecken. Für Hilde ist es jedoch zu spät. Sie wird während der Razzien verhaftet und mit weiteren knapp 1000 Männern, Frauen und Kindern am 26. und 27. August 1942 in die o.g. Polizeikaserne, die Caserne Auvare in Nizza, verschleppt. Ein Augenzeuge schildert die dortige Situation, wie sie auch Hilde Widmann erlebt haben muss: „[…] was würde aus ihnen werden? […] Es herrscht Resignation, vermischt mit nackter Angst. Die Menschen […] sind sich klar darüber, dass sie an die deutschen Behörden ausgeliefert werden. Sie unterliegen einer scharfen Bewachung, um jegliche Verzweiflungstat zu verhindern. […] Ein festgenommener Gefangener wurde dabei erwischt, wie er versuchte, sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern zu öffnen […]“.
Am 31. August 1942 werden 560 von ihnen in einem Sonderzug nach Drancy verschleppt: 274 Männer, 281 Frauen und 5 Kinder unter 10 Jahren. 153 Männer bewachen sie.
Am 2. September 1942 geht der Transport Nr. 27 von Drancy nach Auschwitz ab. Hier verliert sich die Spur von Hilde Widmann.
Auf welchem Wege die Familie von Hildes Deportation erfahren hat, ist nicht bekannt. Die Information wird jedoch – wegen der Zensur verklausuliert – innerhalb der Familie weitergegeben, so in einem Brief, den Hildes Onkel Ernst Kuppenheim am 24. Januar 1943 an seinen Sohn Erich in Buenos Aires schreibt: „Es wird Dich sicher interessieren […] dass Hilde W. nicht mehr bei Tante Emilie ist, man hat sie wegen ihrer Erbkrankheit in ein Sanatorium geschickt.“
Am 29. Januar 1943 wird die Ehe zwischen Hilde und Bruno Widmann vom Landgericht Berlin geschieden. 1945 wird Ludwig/Louis demobilisiert und findet seine Mutter in Antibes wieder, nicht aber Hilde. „[…] Mutter glaubte, dass meine Schwester Hilde die Deportation überlebt haben würde. […] Sie hörte und las über die Greuel der Nazi-Konzentrationslager und kam nach und nach zur Überzeugung, dass auch ihr Kind Hilde nicht zurückkehren werde.“
Die Familie erfährt die Wahrheit; mit einem Acte de disparition wird Hilde Widmann für tot erklärt. In einer Entscheidung des Amtsgerichts Charlottenburg vom 19. Mai 1953 wird ihr Todesdatum auf den 31. Dezember 1942 festgelegt.
Am 19. März 1955 nimmt das Landgericht Berlin (40. Zivilkammer) die Rechtskräftigkeit des Scheidungsurteils zurück, wahrscheinlich auf Antrag von Bruno Widmann.
Sehr lange erinnert nur ein Stein auf dem Familiengrab in Pforzheim an Hilde Widmann geb. Kuppenheim. Am 30. Januar 2020 wird in Nizza der „Mur des Déportés“ enthüllt. Auf ihm stehen die Namen der 3603 von Nizza aus verschleppten Jüdinnen und Juden, darunter auch der von Hilde Widmann. Initiiert hat dieses Mahnmal Serge Klarsfeld, der 1942 in Südfrankreich lebte und genau diesen Razzien entkam.
Seit Juni 2022 liegt ein Stolperstein vor Hilde Widmanns letzter Adresse in Berlin, der Binger Straße 41.
Autorin: Sabine Herrle (Freiburg)
Gertraut Anna Helen „Traute“ Kuppenheim wird am 2. Mai 1924 als Tochter von Gertraut (geb. Klöppel) und Felix Kuppenheim in Pforzheim geboren. Einen Tag später stirbt ihre Mutter. Die Großeltern väterlicherseits ziehen die Kleine auf. Diese sind Dr. Rudolph Kuppenheim, ein weithin geachteter Frauenarzt und Chef der Gynäkologie am Pforzheimer Siloah-Krankenhaus, und seine Gattin Lilly (geb. Ehrmann). Felix Kuppenheim, ihr jüngerer Sohn, ist Maschinenbauingenieur und arbeitet im Familienunternehmen, der „Louis Kuppenheim AG, Gold- und Silberwaren“, einer Firma von Weltrang, gegründet von Trautes Urgroßvater Louis Kuppenheim, geleitet von ihrem Großonkel Hugo Kuppenheim.
Die Familie Kuppenheim hat jüdische Wurzeln. Die Kinder des Firmengründers, also Rudolf und seine fünf Geschwister, konvertieren um die Jahrhundertwende zum evangelischen Glauben, lassen ihre Kinder taufen und konfirmieren.
1928 – Traute ist vier Jahre alt – heiratet ihr Vater zum zweiten Mal – Gertrud Meyer, die als Prokuristin in einer Pforzheimer Uhrenfabrik arbeitet (damals für eine Frau absolut ungewöhnlich).
Die wirtschaftliche Lage zwingt die Louis Kuppenheim AG, Personal abzubauen, darunter fällt auch Felix.
Er und seine Frau beschließen, sich selbstständig zu machen. Sie ziehen nach Münster und bauen einen Großhandel mit Uhren auf. Felix Kuppenheim fährt mit dem Auto über Land, um Kunden anzuwerben; seine Frau führt die Bücher und leitet das Geschäft. Im Jahr 1930 wird Trautes Schwester Ursula geboren, dem Jahr, in dem Traute eingeschult wird. Lesen zu lernen ist für sie ein großes Glück. Einen Höhepunkt im Leben der kleinen Traute sind die alljährlichen Sommerferien in Pforzheim, bei den geliebten Großeltern; der Abschied fällt ihr jedes Mal schwer. Gleich zu Beginn der NS-Diktatur treffen die ersten Maßnahmen Mitglieder der Familie Kuppenheim – beispielsweise das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ ihren Großvater und zwei Tanten. Trautes Vater sieht zwar die Zeichen, hofft aber, „dass ein so einschneidender Schritt, wie eine Auswanderung, nicht notwendig werde. Schließlich waren alle Kuppenheims Kriegsteilnehmer gewesen, und hoch dekoriert zurückgekehrt […] Welches Ausmass die Katastrophe wirklich annehmen würde, konnte sich niemand, […] auch in seinen dunkelsten Ängsten, vorstellen.“ Außerdem fehlen der Familie die finanziellen Mittel.
Im Sommer 1934 zieht Traute zu den Großeltern nach Pforzheim und besucht dort die höhere Mädchenschule, die Hildaschule.
Die „Nürnberger Gesetze“ 1935 bilden einen Einschnitt. Sie definieren jüdisch als „Rasse“, nicht als Religion. Jüdische Deutsche werden zu Bürgern zweiter Klasse. Alle Kinder des Firmengründers Louis Kuppenheim werden über Nacht zu „Volljuden“, so auch Dr. Rudolf Kuppenheim, Trautes geliebter Großvater. Großmutter Lilly (geb. Ehrmann) gilt ebenfalls als „Volljüdin“, ebenso wie Trautes Vater Felix und sein Bruder Hans. Traute selbst und ihre Schwester Ursula werden als „Mischlinge ersten Grades“ eingestuft. Die „arischen“ Teile der Familie gelten als „jüdisch versippt“. Im März 1938 wird Traute in Pforzheim konfirmiert. Pfarrer Karl Specht, Mitglied der „Bekenntnisgemeinschaft“ (Badischer Zweig der Bekennenden Kirche), gibt Traute als Konfirmationsspruch auf den Weg: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Johannes 14:27) Er kennt die Familie und ihr Schicksal. Kurz Zeit später, als Traute das achte Schuljahr abgeschlossen hat, holen die Eltern sie zurück nach Münster. Das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom 25. April 1933 ermöglicht den Ausschluss „nichtarischer“ Kinder von öffentlichen Schulen (und Hochschulen).
Angesichts Trautes Situation als „Mischling ersten Grades“ halten ihre Eltern es für geboten, dass sie einen praktischen Beruf erlernt, und sie beginnt eine Lehre im elterlichen Großhandel.
Im selben Jahr muss die 14jährige erleben, wie ihr Großonkel Hugo sich während der „Arisierung“ verzweifelt das Leben nimmt. Eine Tante schafft es, in die USA auszuwandern, eine weitere flieht nach Frankreich. Traute erlebt die Reichspogromnacht – das Geschäft der Eltern wird jedoch nicht demoliert, möglicherweise, da es sich um ein Etagengeschäft handelt, also von der Wohnung aus betrieben wird, und von einer „Arierin“ geleitet wird. Ihr Vater wird gewarnt und muss sich verstecken.
Im Frühjahr 1939 gelingt es ihrem Onkel Hans, mit Hilfe seines Arbeitgebers, der Firma Siemens, das Land zu verlassen. Zur gleichen Zeit wird ein Cousin ihres Vaters, das jüngste Kind ihres Großonkels Hugo, wie Traute als „Mischling“ eingestuft, mit einem Kindertransport nach England geschickt. Auch ihr Vater, Felix Kuppenheim, sucht jetzt intensiv nach einer Möglichkeit, das Land zu verlassen. Am 22. Oktober 1940 bringen ihre geliebten Großeltern sich um, um der Deportation nach Gurs zu entgehen. Ihr Vater will an der Beerdigung seiner Eltern teilnehmen, er wird in Pforzheim erkannt und gewarnt und entgeht so wahrscheinlich der Verhaftung. Er hat gerade ein Visum nach Ecuador bekommen – auf abenteuerlichen Wegen, durch die Mandschurei, gelingt ihm die Ausreise. Im selben Jahr muss Traute ihre Lehre abbrechen, als „Mischling“ und „Mädchen blieb nur die Arbeit als Hausangestellte“. Doppelt diskriminiert – als „Nichtarierin“ und Frau – beginnt sie eine Hauswirtschaftslehre im Diakonissenhaus in Münster in der Hoffnung, im Anschluss eine Ausbildung zur Krankenschwester machen zu können. Eine weitere Einschränkung lässt auch dies nicht zu; für sie kommt lediglich die Kinder- und Säuglingspflege in Frage. Zum Abschlussexamen wird sie nicht zugelassen.
1942 zieht Traute nach Berlin in die Tannenstraße 7, zu ihrer Tante Ilse Kuppenheim geb. Hoepfel, „arische“ Ehefrau (und Cousine ihrer leiblichen Mutter) ihres Onkels Hans Kuppenheim der seit 1939 in den USA lebt. „Ilses liebevolle Art, ihre Wärme, Verständnis und Einfühlungsvermögen machten mir Mut, hoben und stärkten mein Selbstvertrauen, sodass ich fähig wurde mich allen Schwierigkeiten zum Trotz zu behaupten […]“ TrautesArbeit ist anstrengend, häufig muss sie die Stelle wechseln, da nur kinderreiche Familien oder solche mit Neugeborenen bis 6 Wochen eine Kinderpflegerin beantragen dürfen. Bei jeder Bewerbung muss sie sich erklären – dass sie kein Examen habe, da sie als „Halbjüdin“ zu diesem nicht zugelassen sei. „Natürlich musste ich bei jeder Bewerbung neu mein Sprüchlein hersagen: warum ich kein Staatsexamen habe; das war nicht angenehm, aber im Vergleich zu dem, was andere, z.B. in Rüstungsfabriken oder Arbeitslagerndurchstehen mussten, kaum erwähnenswert.“
1943 hat sie über einen längeren Zeitraum eine Stelle bei dem Besitzer einer Druckerei im Norden Berlins, der auch als „Schieber“ tätig ist; für Traute bedeutet dies, dass sie ab und zu Lebensmittel erhält. Ein Erlebnis auf dem Weg zur Arbeitsstelle erschüttert sie nachhaltig. Sie wartet auf den Zug nach Berlin und sieht auf einem „anderen Gleis einen Güterzug Richtung Oranienburg so langsam fahren, dass man hinter vergitterten Luken, verzerrte, ausgemergelte Gesichter erkennen konnte.“ Es handelt sich um Menschen, die in das Lager Sachsenhausen deportiert werden.
1942 und 1943 gibt es wieder schreckliche Nachrichten aus der Familie: Trautes „sehr geliebte Grosstante“, die Künstlerin Karoline Borchardt geb. Ehrmann, schreibt ihr einen kurzen Gruß, bevor sie nach Theresienstadt deportiert wird (sie wird die unmenschlichen Bedingungen dort nicht überleben). Ihre Tante Hilde Widmann geb. Kuppenheim, deren Mann Bruno Widmann in Berlin lebt und Kontakt mit Ilse hat, ist in Frankreich verhaftet und „in den Osten“ deportiert worden. Ihr Großonkel Ernst Kuppenheim hat Verhaftung und das „Arbeitserziehungslager“ in Heddernheim nicht überlebt. Auch aus Münster erfährt sie Beklemmendes: ihre Schwester Ursula wird von einem rassistischen Lehrer vorgeführt und gequält, von einigen Mitschülerinnen schikaniert. Sie wird gewarnt – die Gestapo suche sie – Ursula muss sich verstecken. (Zu dieser Zeit, im Herbst 1944, finden die sog. „Mischlingsaktionen“ statt). Trautes Stiefmutter wird bei einem Luftangriff verletzt und überlebt knapp.
Ihre Großtante Greta Stengel (geb. Kuppenheim) wird im Januar 1944 nach Theresienstadt deportiert – die Schwester ihres Großvaters Dr. Rudolf Kuppenheim und die einzige noch lebende Vertreterin dieser Generation der Kuppenheims (sie wird, schwer gezeichnet, überleben).
Am 23. Dezember 1944 hat Traute großes Glück: eine ihrer Freundinnen, auch sie „Mischling“, muss sich wie andere auch bei der Gestapo melden – die Betroffenen werden für die Rüstungsindustrie dienstverpflichtet, aber Traute steht offenbar nicht auf der Liste. Die Luftangriffe mehren sich, die Rote Armee marschiert auf Berlin vor. Traute hat „widerstreitende Gefühle“: in die Angst vor der Besetzung Berlins mischt sich „die Hoffnung, das böse, gefürchtete Nazi-Regime bald ganz besiegt zu sehen. […] hoffte man, dass Hitler, durch die immer aussichtsloser werdende Lage, keine Zeit mehr bleiben würde, sich mit seinen nächsten Opfern zu beschäftigen: Halbjuden, den mit Juden verheirateten nichtjüdischen Ehepartnern und deren evtl. noch lebenden Männern und Frauen […].“ Sowohl Traute als auch Ilse Kuppenheim fallen unter diese Kategorien; sie leben in ständiger Ungewissheit und Angst.
Die fast vollständige Zerstörung ihrer Heimatstadt Pforzheim am 23. Februar 1945 erschüttert Traute.
Nach Kriegsende ist Traute 21 Jahre alt und nimmt ihre Ausbildung wieder auf, zunächst als Krankenschwesterschülerin im Dominikus-Krankenhaus in Hermsdorf. Als Nazi-Verfolgte wird sie in einem bereits laufenden Kurs untergebracht. Am Krankenhaus St. Hedwig in Mitte soll sie ihre Ausbildung beenden. Allerdings wird 1946 bei ihr Tuberkulose festgestellt, und die verordnete Liegekur unterbricht die Ausbildung ein weiteres Mal für längere Zeit. Aus Münster erfährt sie, dass auch Schwester Ursula wieder eine Schule besucht.
Im Frühjahr 1947 verlässt ihre Tante Ilse Deutschland Richtung USA. Traute gelingt es, nach Münster zu Stiefmutter und Schwester zu reisen (in Zeiten der Besatzungszonen kein leichtes Unterfangen). In Minden kann sie Anfang 1948 endlich ihre Ausbildung abschließen. Von Ecuador aus versucht ihr Vater Felix erfolgreich, mit Hilfe der IRO (International Refugee Organisation, Sonderorganisation der UNO), seine Familie nachzuholen. Traute und ihre Schwester werden von vielen beneidet, dass sie dem zerstörten Land den Rücken kehren dürfen. Traute nennt einen weiteren Grund, nicht in Deutschland zu bleiben: „Am allerwenigsten hätte unser Vater es verstanden. Er hatte sich in den langen, ungewissen […] sehr einsamen Jahren Ablehnung, ja Verachtung und beinahe Hass gegen das Land seines Ursprungs hineingelebt. […] Er hat wohl nie den Tod seiner Eltern verwinden können, die Art, wie sie aus dem Leben hatten gehen müssen. Es wäre ein neuer, bitterer Schlag für ihn gewesen, wenn eine seiner Töchter darauf bestanden hätte zu bleiben […].“
Im Sommer 1948 geht es aus Italien mit der „Marco Polo“ nach Südamerika. Am 28. Oktober 1948 ist Familie Kuppenheim in Guayaquil vereint, nach acht Jahren Trennung.
Ihre Großeltern haben Traute und Ursula als Erbinnen eingesetzt – es dauert bis zum April 1961, bis sie zu ihrem Recht kommen.
Traute Kuppenheim heiratet 1950 Roberto Pablo Hahn, dessen Vater Deutschland bereits 1933 verlassen hat. Mit ihren Kindern Carlos und Silvia spricht sie nie über ihre Erlebnisse – wie ihre Tochter es ausdrückt: „Die Sprache meiner Mutter waren Sprachlosigkeit und Tränen“. Ihre Erinnerungen schreibt sie für ihre Enkel auf.
Traute Kuppenheim de Hahn stirbt am 10. September 1999 in Ecuador.
Autorin: Sabine Herrle (Freiburg)
Fritz Efraim Loebl wird am 13. Juli 1891 in Vizhnitz in der heutigen Ukraine geboren.
Er lebt mit seiner Frau Esther Ella und den Kindern Philipp, Gerda und Joseph in der Bleichstraße 18. Fritz Loebl ist Inhaber eines Manufaktur- und Aussteuergeschäftes in der Bleichstraße 22.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnen die Verfolgungsmaßnahmen gegenüber dem jüdischen Bevölkerungsteil. Ausgrenzung und Diskriminierung nehmen ab 1933 stetig zu. Der von staatlicher Seite befeuerte Antisemitismus setzt auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Pforzheims zunehmend unter Druck. Am 27. August 1934 flieht die Familie nach Palästina.
Der Neuanfang ist für die ganze Familie sehr schwer. Sein Sohn Philipp muss seinen eigentlichen Wunsch, Arzt zu werden, aufgeben. Er absolviert eine Ausbildung zum Schreiner und führt später ein Einrichtungshaus. Tochter Gerda arbeitet in Israel für eine große Zeitung. Sein jüngerer Sohn Joseph absolviert die High School und studiert später in England Elektroingenieurwesen. Später dient er fünf Jahre in der israelischen Armee als Offizier. Alle drei Kinder gründen in der neuen Heimat Familien und bekommen Kinder.
Fritz Efraim stirbt bereits im Jahr 1965. Seine Frau Esther Ella lebt bis zu ihrem Tod im Jahr 1981 in Israel.
Die Enkel und Urenkel der Familie Loebl leben bis heute in Israel.
Autor: „Geschichte aktiv“ Hilda-Gymnasium
Joseph Loebl wird am 23. März 1926 in Pforzheim geboren.
Er lebt mit seinen Eltern Fritz und Esther sowie den Geschwistern Gerda und Philipp in der Bleichstraße 18. Sein Vater ist Inhaber eines Manufaktur- und Aussteuergeschäftes in der Bleichstraße 22.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnen die Verfolgungsmaßnahmen gegenüber dem jüdischen Bevölkerungsteil. Ausgrenzung und Diskriminierung nehmen ab 1933 stetig zu. Der von staatlicher Seite befeuerte Antisemitismus setzt auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Pforzheims zunehmend unter Druck. Am 27. August 1934 flieht die Familie nach Palästina.
Der Neuanfang ist für die ganze Familie sehr schwer. Joseph absolviert die High School und studiert später in England Elektroingenieurwesen. Später dient er fünf Jahre in der israelischen Armee als Offizier. 1955 heiratet er Erela Okun und ändert seinen Familiennamen von Loebl in Eyal. Sie bekommen drei Kinder: Anat, Adi und Efrat.
Zwischen 1963 und 1967 wird er zum wissenschaftlichen Attaché in der israelischen Botschaft in Washington D.C. ernannt.
Sein Vater Fritz Efraim stirbt bereits 1965, seine Mutter Esther Ella im Jahr 1981. Joseph lebt bis zu seinem Tod im Jahr 1983 in Israel. Josephs Kinder, Enkel und Urenkel leben bis heute in Israel.
Autor: „Geschichte aktiv“ Hilda-Gymnasium
Gerda Loebl wird am 28. April 1921 in Pforzheim geboren.
Sie lebt mit ihren Eltern Fritz und Esther sowie den Geschwistern Philipp und Joseph in der Bleichstraße 18. Ihr Vater ist Inhaber eines Manufaktur- und Aussteuergeschäftes in der Bleichstraße 22.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnen die Verfolgungsmaßnahmen gegenüber dem jüdischen Bevölkerungsteil. Ausgrenzung und Diskriminierung nehmen ab 1933 stetig zu. Der von staatlicher Seite befeuerte Antisemitismus setzt auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Pforzheims zunehmend unter Druck. Am 27. August 1934 flieht die Familie nach Palästina.
Der Neuanfang ist für die ganze Familie sehr schwer. Gerda arbeitet in Israel für eine große Zeitung. Sie heiratet und trägt später den Namen Boschwitz. Sie bekommen zwei Töchter: Hav und Margalit.
Gerdas Kinder, Enkel und Urenkel leben bis heute in Israel.
Autor: „Geschichte aktiv“ Hilda-Gymnasium
Philipp Loebl – genannt Pinkas – wird am 12. Dezember 1919 in Pforzheim geboren.
Er lebt mit seinen Eltern Fritz und Esther sowie den Geschwistern Gerda und Joseph in der Bleichstraße 18. Sein Vater ist Inhaber eines Manufaktur- und Aussteuergeschäftes in der Bleichstraße 22.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnen die Verfolgungsmaßnahmen gegenüber dem jüdischen Bevölkerungsteil. Ausgrenzung und Diskriminierung nehmen ab 1933 stetig zu. Der von staatlicher Seite befeuerte Antisemitismus setzt auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Pforzheims zunehmend unter Druck. Am 27. August 1934 flieht die Familie nach Palästina.
Philipp besucht bis 1934 das Reuchlin-Gymnasium und schreibt später rückblickend über die Flucht nach Palästina:
„Mein Eltern beschlossen im Spätsommer 1934 Deutschland zu verlassen und nach Palästina auszuwandern, da sie glücklicherweise genügend Weitblick hatten, um die schreckliche Entwicklung vorauszusehen. Ich selbst war über diese Entscheidung damals eher unglücklich, ich liebte das Land, den Schwarzwald, hatte jüdische und nichtjüdische Freunde. (…) Ich war der einzige Jude in meiner Klasse, meine Schwester Gerda (…) lernte in einer Klasse unter mir (…). Ich entsinne mich noch gut an die Zeit, die der Machtübernahme vorausging, an die politischen Diskussionen in der Klasse, die in „Sozis“ – Zentrum – Deutschnationale und „Nazis“ gespalten war. (…) Die Beziehungen mit meinen Lehrern waren zur damaligen Zeit 1933 bis 1934 ziemlich korrekt, ich war ein guter Schüler, und daher geachtet. Das ging soweit, dass meine Schwester und ich, zum Abschluss der Untertertia Schulpreise bekamen. Der Preis für Vorzugs-Schüler war natürlich Hitlers „Mein Kampf“. Uns als Juden konnte man das doch nicht geben, so bekamen wir „Hindenburg als Mensch, Feldherr und Staatsmann“ und einen Fotoapparat. (….) Es wurde jedoch langsam schlimmer, der Arierparagraph wurde eingeführt, die Mitschüler wurden plötzlich alle Nationalsozialisten. Ich verließ das Gymnasium und besuchte bis zu unserer Auswanderung die damals daneben liegende Handelsschule. Was für eine seelische Belastung dieses plötzliche „ausgestoßen“ werden, dieser Abbruch von langjährigen Freundschaften, für einen jungen Menschen im Entwicklungsalter bedeutet, ist nur sehr schwer zu beschreiben. Ich war einfach unglücklich und deprimiert, ich nehme an, dass diese Entwicklung meinen ganzen späteren Charakter geformt hat. Vor unserer Abreise wanderte ich oft auf den Pforzheim umliegenden Hügeln herum und nahm schweren Herzens Abschied von meiner damaligen Heimat und meinem Zuhause.
Wir, meine Eltern, meine Schwester und ein jüngerer Bruder kamen mittellos in Palästina an, es war ein unvorstellbar schwerer Übergang, aus dem schönen kühlen Schwarzwald, in das damals noch völlig unterentwickelte Land mit tropischem Klima (..)“
Der Neuanfang ist für die ganze Familie sehr schwer. Philipp muss seinen eigentlichen Wunsch, Arzt zu werden, aufgeben. Er absolviert eine Ausbildung zum Schreiner und führt später ein Einrichtungshaus. In Palästina trifft er Trude Marx wieder, die er bereits aus Pforzheim kennt. Sie heiraten und bekommen zwei Söhne, Alon und Eldan.
Sein Vater Fritz Efraim stirbt bereits 1965, seine Mutter Esther Ella im Jahr 1981. Philipp stirbt am 2. November 2001 in Israel. Seine Kinder, Enkel und Urenkel leben bis heute in Israel.
Autor: „Geschichte aktiv“ Hilda-Gymnasium
Esther Ella Stein wird am 9. August 1898 in Vizhnitz geboren.
Sie lebt mit ihrem Mann Fritz Efraim und den Kindern Philipp, Gerda und Joseph in der Bleichstraße 18. Ihr Mann ist Inhaber eines Manufaktur- und Aussteuergeschäftes in der Bleichstraße 22. Ihre drei Kinder kommen alle in Pforzheim zur Welt: Sohn Philipp am 12. Dezember 1919, Tochter Gerda am 28. April 1921 und Sohn Joseph am 23. März 1926.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnen die Verfolgungsmaßnahmen gegenüber dem jüdischen Bevölkerungsteil. Ausgrenzung und Diskriminierung nehmen ab 1933 stetig zu. Der von staatlicher Seite befeuerte Antisemitismus setzt auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Pforzheims zunehmend unter Druck. Am 27. August 1934 flieht die Familie nach Palästina.
Der Neuanfang ist für die ganze Familie sehr schwer. Ihr Sohn Philipp muss seinen eigentlichen Wunsch, Arzt zu werden, aufgeben. Er absolviert eine Ausbildung zum Schreiner und führt später ein Einrichtungshaus. Tochter Gerda arbeitet in Israel für eine große Zeitung.
Ihr jüngerer Sohn Joseph absolviert die High School und studiert später in England Elektroingenieurwesen. Später dient er fünf Jahre in der israelischen Armee als Offizier.
Alle drei Kinder gründen in der neuen Heimat Familien und bekommen Kinder.
Esther Ellas Mann Fritz Efraim stirbt bereits im Jahr 1965. Esther selbst lebt bis zu ihrem Tod im Jahr 1981 in Israel.
Die Enkel und Urenkel der Familie Loebl leben bis heute in Israel.
Autor: „Geschichte aktiv“ Hilda-Gymnasium
Adolf Rosenberger wurde als Sohn einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie am 8. April 1900 in Pforzheim geboren. Er besuchte zunächst die Volksschule und wechselte dann auf die Ober-Realschule in der Simmlerstraße, das heutige Hebel-Gymnasium.
Er war Pilot im Ersten Weltkrieg und kam so früh mit Technik in Kontakt, für die er sich fortan begeisterte. Ab 1923 wandte er sich dem automobilen Rennsport zu und konnte in den Jahren bis 1929 rund vierzig erste Plätze auf unterschiedlichen Rennwagen erringen. Der ADAC verlieh ihm 1931 das Goldene Sportabzeichen für seine Verdienste um den deutschen Automobilsport.
Daneben bewies er großes unternehmerisches Talent. Bereits in den 1920er Jahren machte er die Bekanntschaft von Ferdinand Porsche. Mit ihm gründete er 1931 zusammen mit dessen Schwiegersohn Anton Piech die Firma Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Konstruktionen und Beratungen für Motoren und Fahrzeugbau in der Kronenstraße 24 in Stuttgart.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Rosenberger 1933 nach und nach aus der Firma gedrängt. Er emigrierte zunächst in das europäische Ausland, dann in die USA. Nach vielen Jahren der Entbehrung konnte er in Los Angeles Fuß fassen. Er änderte dort seinen Namen in Al Roberts. Mit Porsche schloss er 1951 einen Vergleich, aus dessen Erlös er sich erfolgreich an einem Zulieferer der amerikanischen Automobilindustrie beteiligen konnte.
Am 6. Dezember 1967 starb Adolf Rosenberger im Alter von 67 Jahren in Los Angeles.
Autor: Martin Walter, Rastatt
Der folgende Link (externer Link, Youtube) führt zu einer Erinnerungsveranstaltung an Adolf Rosenberger aus dem Jahr 2022. Darin enthalten ist die ARD-Film-Dokumentation „Adolf Rosenberger – Der Mann hinter Porsche“ (ab 14:38 Min):
Lina Grünbaum wird am 25. September 1922 in Pforzheim geboren.
Sie ist, wie ihre Schwester Lilly, Schülerin der Hildaschule. Lina lebt mit ihren Eltern und den vier Geschwistern zuletzt in der Bachstraße 4 (heute Gerberstraße). Ihre Eltern betreiben bis 1927 in Pforzheim eine Sackfabrik und Sackhandlung. Später ist ihr Vater Hermann im Schmuckwarenhandel tätig.
Die ältere Schwester Lilly hat noch die Möglichkeit, das Abitur an der Hildaschule im Jahr 1933 zu absolvieren. Die Familie wandert 1933 nach Bischheim (Straßbourg) aus. Dort versucht sie, Fuß zu fassen, was sehr schwer ist. Sie ziehen innerhalb Frankreichs mehrmals um. Die älteste Schwester Lilly stirbt bereits am 7. Mai 1938 an einer Lungenentzündung in Straßburg. Der Vater Hermann wird im März 1944 verhaftet und im April nach Auschwitz deportiert. Er überlebt die Verfolgung nicht.
Nach Ende des Krieges emigriert Lina mit ihren Geschwistern sowie Mutter Glika nach Kanada. Sie heiratet Jack und gründet eine Familie. Sie bekommen drei Kinder. Ihre zwei Enkel und neun Urenkel leben bis heute in Kanada.