Hans Kuppenheim
Hans Friedrich Ludwig Kuppenheim wird am 3. Dezember 1892 als ältester Sohn des Frauenarztes Medizinalrat Dr. Rudolf Kuppenheim und Lilly (geb. Ehrmann) in Pforzheim geboren. Sein Großvater, Louis Kuppenheim, ist Gründer der Firma „Louis Kuppenheim AG, Gold- und Silberwarenfabrik“, seine Onkel führen die Firma weiter und zu Weltruhm.
Die Familie Kuppenheim hat jüdische Wurzeln. Hans‘ Eltern konvertieren um die Jahrhundertwende; das gleiche gilt für sämtliche Geschwister des Vaters. Die Söhne Hans und Felix werden evangelisch getauft.
Hans Kuppenheim wächst, gemeinsam mit seinem vier Jahre später geborenen Bruder Felix, behütet in Pforzheim auf. Beide Eltern sind aktive Mitglieder der Stadtgesellschaft und überaus beliebt. Er besucht das Pforzheimer Reuchlin-Gymnasium und macht dort 1911 das Abitur.
Im Anschluss daran, 1911/12, leistet Hans Kuppenheim seinen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger beim Telegraphen-Bataillon IV in Karlsruhe ab. Wie auch sein Vater ist Hans naturwissenschaftlich begabt; er schreibt sich an der Universität Heidelberg für die Fächer Physik, Mathematik und Astronomie ein. Außerdem ist er ein talentierter Musiker – sein ganzes Leben spielt er Geige in einem Streichquartett.
Mit Kriegsausbruch 1914 unterbricht Hans Kuppenheim sein Studium. Im Juni 1915 wird er verletzt. Im Lazarett in Nürnberg lernt er seine spätere Frau, die Krankenschwester Ilse Hoepfel, kennen. Es ist Liebe auf den ersten Blick.
Hoch dekoriert – neben dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse wird ihm 1917 auch eine hohe badische Auszeichnung, das Ritterkreuz vom Orden des Zähringer Löwen, verliehen – kehrt Hans Kuppenheim im Dezember 1918 aus dem Krieg zurück und setzt sein Studium fort. (Auch Vater und Bruder, ein Cousin sowie zwei Onkel erhalten gleichermaßen hohe Auszeichnungen.)
Am 23. August 1919 heiratet er Ilse Hoepfel in Bad Wörishofen.
1921 promoviert er in Physik. Ein Jahr arbeitet er an der Universität Heidelberg, danach bei verschiedenen Firmen in Erlangen, Rudolstadt und Frankfurt (Main). Im Jahr 1932 zieht er nach Berlin, um eine Stelle bei Siemens anzutreten. Sein Spezialgebiet ist Röntgenphysik; er erforscht die Schnittstellen zwischen medizinischer Forschung und deren technischer Umsetzung in Geräte. Mit seiner Frau wohnt er am Barbarossakorso 35 (heutige Welfenallee 45), anschließend in der Tannenstraße 7. Zwei seiner Cousinen – Hilde Widmann geb. Kuppenheim sowie Lotte Brückner geb. Kuppenheim – leben übrigens auch in Berlin.
Seine erste Erfahrung mit dem Antisemitismus der NSDAP macht Hans Kuppenheim bereits im April 1933, im Rahmen der Betriebsratswahlen bei den Siemens Reinigerwerken in der Mohrenstraße, die auf den 6. April 1933 angesetzt sind. Neben der Liste der NSDAP gibt es noch eine unabhängige Liste, auf der auch Hans Kuppenheim kandidiert. Beide Listen werden am Schwarzen Brett angeschlagen. Die NSDAP-Betriebsgruppe entfernt die zweite Liste und erklärt, dass sie die Geschäfte des Betriebsrats übernommen habe. Anschließend wird die Direktion aufgefordert, drei Arbeitnehmer zu entlassen, da diese Juden seien, darunter namentlich auch Dr. Hans Kuppenheim. Sprachrohr der NSDAP ist ihr Obmann für dies Werk, „ein Mann namens Bock, welcher im Haus Boten- und Pförtnerdienste verrichtet“. Hans Kuppenheim hat Glück – „Inzwischen wurde festgestellt, dass Dr. Kuppenheim katholisch [sic !!!] ist, im Kriege an der Front gekämpft hat und Inhaber des EK II. und I. Klasse ist.“
1934 nimmt Dr. Hans Kuppenheim am IV. Internationalen Radiologenkongress in Zürich teil. 1935 wird er durch die Nürnberger Gesetze, die aus der jüdischen Religion das Konstrukt einer jüdischen Rasse machen, über Nacht zum „Volljuden“ – alle vier Großeltern waren Juden. Die Nürnberger Gesetze erklären jüdische Deutsche zu Bürgern zweiter Klasse, zu „Staatsangehörigen“ im Gegensatz zu den „arischen“ Reichsbürgern. Seine Frau Ilse ist laut NS-Rassenlehre „arischer“ Abstammung. Da es der Ehemann, also Hans, ist, der als Jude eingestuft ist, und die Ehe kinderlos ist, wird sie als „nicht-privilegierte Mischehe“ eingestuft.
Im August 1938 erlebt Hans Kuppenheim, wie sein Onkel Hugo Kuppenheim, der den großväterlichen Betrieb weiterführt, sich während der sog. „Arisierung“ verzweifelt das Leben nimmt. Im selben Monat beschließt die Reichsregierung die Einführung von „typisch jüdischen“ Zwangsnamen, um jüdische Menschen erkennbar zu machen; Hans Friedrich Ludwig Kuppenheim muss zusätzlich den Namen „Israel“ führen.
Mit Datum 9. Dezember 1938 – einen Monat nach der Pogromnacht – erhält Hans Kuppenheim einen Brief der Deutschen Physikalischen Gesellschaft: „Unter den zwingend obwaltenden Umständen kann die Mitgliedschaft von reichsdeutschen Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze nicht mehr aufrecht erhalten werden. […] Im Einverständnis mit dem Vorstand fordere ich daher alle Mitglieder, die unter diese Bestimmung fallen, mir ihren Austritt aus der Gesellschaft mitzuteilen. Heil Hitler! P[eter]. Debuye. Vorsitzender“. Diese Entscheidung wird die Deutsche Physikalische Gesellschaft Hans Kuppenheim gegenüber übrigens nie zurücknehmen.
Sein Cousine Hilde Widmann (geb. Kuppenheim) flieht in diesem Jahr zu ihrem Bruder nach Paris; Cousine Lotte Brückner (geb. Kuppenheim) schafft es, ein Visum für die USA zu erhalten und verlässt Europa in Cherbourg.
Ende 1938 beschließt die Firma Siemens, ihrem Angestellten zu helfen. Aus einem Brief seiner Frau wissen wir, dass Hans Kuppenheim zu diesem Zeitpunkt „nach all den Jahren, die für ihn als Nichtarier so unendlich schwer waren […] kurz vor dem seelischen Zusammenbruch“ stand. Ihm wird ein Posten in der Niederlassung der Firma in Vancouver versprochen; die Einarbeitungsphase von drei Monaten soll in New York bei der Firma Adlanco X-Ray Corporation stattfinden, der Vertretung von Siemens in den USA. Siemens unterstützt ihn auch beim Beschaffen der Ausreisepapiere – am 1.Februar 1939 erhält er einen auf ein Jahr befristeten, mit einem „J“ gekennzeichneten Pass. Am 24. Mai 1939 kommt Hans Kuppenheim auf der „SS Manhattan“ in New York an. Er hat jedoch kein Einwanderungsvisum, lediglich eine beschränkte Aufenthaltsgenehmigung, gekoppelt an seine Stelle sowie an Abkommen mit dem Deutschen Reich. Er muss sie regelmäßig verlängern lassen. Seine Frau Ilse muss er in Berlin zurücklassen.
Nach dem deutschen Überfall auf Polen erklärt Großbritannien Deutschland am 3. September 1939 den Krieg und Kanada, als Teil des „British Commonwealth of Nations“, ist nunmehr Kriegsteilnehmer. Die Weiterreise nach Vancouver wird dadurch unmöglich, und so arbeitet er weiter in der Filiale der Firma Siemens in New York, bis ihm noch im September 1939 gekündigt wird – offenbar nach Aufforderung durch die NS-Regierung. Daraufhin arbeitet Hans Kuppenheim in verschiedenen Firmen als Physiker.
Wann genau und auf welchem Wege Hans Kuppenheim erfährt, dass seine Eltern, Dr. Rudolf und Lilly Kuppenheim, Selbstmord begangen haben, um der Deportation nach Gurs am 22./23.Oktober 1940 zu entgehen, wissen wir nicht.
Am 26. November 1941 verliert er die deutsche Staatsangehörigkeit, ist also staatenlos. Im Dezember 1941 treten die USA in den Krieg ein. Sein Aufenthaltsstatus wird verbessert, aber seine Bemühungen, US-Bürger zu werden, werden bis 1945 andauern. Hans Kuppenheim bietet US-Regierungsstellen seine Unterstützung im Kampf „gegen den gemeinsamen Feind“ an. Bis 1944 wird er mehrfach vom Justizministerium zu Fragen die deutsche Industrie betreffend („German industrial matters“) angehört. Aufgrund seiner überragenden wissenschaftlichen Leistungen wird er 1943 vom „War Department“ der USA (dem Verteidigungsministerium unterstellte Behörde) als „expert on radio tubes and plants“ berufen und vereidigt und gehört diesem Gremium bis zu dessen Auflösung im Jahre 1944 an.
Im Sommer 1945 kontaktiert er General Lucius D. Clay, stellvertretender Militärgouverneur und stellvertretender Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Besatzungszone und des amerikanischen Sektors von Berlin. Er bittet ihn zu veranlassen, dass ein Brief an seine Frau Ilse weitergeschickt wird. Clay hilft; Ilse hört zum ersten Mal seit Jahren von ihrem Mann.
Hans Kuppenheim, der nach 1945 amerikanischer Staatsbürger wird, arbeitet seit 1947 im „Army Medical Research Lab“ in Fort Knox (Kentucky) als Leiter der Abteilung Biophysik. Im selben Jahr kann seine Frau Ilse endlich nachkommen – über Bremerhaven in der US-amerikanischen Zone.
Am 4. September 1966 stirbt Hans Kuppenheim, der seit 1960 verwitwet ist, in Folge eines Verkehrsunfalls. Seine Urne ist im Familiengrab in Pforzheim beerdigt, genauso wie die seiner Frau Ilse, die bereits 1960 gestorben ist.
Autorin: Sabine Herrle (Freiburg)